Vor vielen Jahren war Twitter eine angenehme, kleine, freundliche Familie. Die Timeline war überschaubar, Diskussionen produktiv, teils konnte der Horizont erweitert werden, teils hat es einfach nur Freude bereitet. Vor ebenfalls vielen Jahren änderte sich dies. Zu meinen Piraten-Zeiten im Bereich von 2010 befand ich mich in einer Piraten-Blase. Kriege und Schlachten wurden dort ausgefochten, generell herrschte viel Aufregung darüber, welche Dinge man nun wie „richtig“ machen konnten. Die Piraten zerplatzten und es war Zeit, zu überdenken, was Twitter kann und was nicht.
Just zu dieser Zeit erschien App.net am Himmel der Kurznachrichtendienste. Es versprach, nicht nur ein Kurznachrichtendienst wie Twitter sein zu können, sondern ein Framework für unterschiedlichste Anwendungsarten. So gab es Messenger auf dieser Basis (wie Whatsapp), Kurznachrichten-Clients (es gab sogar einen Client der Tweetbot-Entwickler), Bilder-Sharing-Clients (wie Instagram), Chat-Clients usw. Am Ende ging die Rechnung nicht auf. App.net stellte seine Dienste ein, aber es waren viele wunderbare Jahre auf App.net. Es war ein besseres Twitter, als Twitter zu seinen Anfangstagen.
Die Rückkehr zu Twitter war hart, denn Twitter hatte sich in diesen Jahren verändert. Es ging an die Börse und wollte das nächste Facebook werden. Es wollte mir Werbung zeigen und mir vorschreiben, welche Tweets relevanter seien als andere und sich zudem als Celebrity-News und genereller Nachrichtenverteiler positionieren. Ich konnte ausweichen: Clients wie Tweetbot boten weiterhin die klassische Twitter-Nutzererfahrung, aber Twitter fing an, meine Nutzung zu beschneiden. Neue Funktionen wurden z.B. nur den eigenen Clients zugänglich gemacht, wie Umfragen; in diesem Jahr (2018) werden die Clients weiter massiv eingeschränkt.
Gleichzeitig wurde der Umgangston immer härter, die Diskussionen weniger und Twitter, welches sich hauptsächlich über steigende Nutzerzahlen definierte, tat kaum etwas, um Hatespeech, Harassment, Stalking oder sogar die ständigen Aggressionen des amtierenden US-Präsidenten zu ahnen. Im Gegenteil: Es erlaubte jede Äußerung, die nicht von Twitters Nutzungsbedingungen gedeckt war, solange es sich um öffentliches Interesse handelt. Ein Freibrief für Hass. Meine Mute-Liste wurde länger und länger.
Ich stellte mir verstärkt die Frage, welchen Zweck Twitter momentan für mich erfüllt. Das Ergebnis war nicht berauschend: Es kostet Zeit, frisst Freude und erschafft Unmut. Gerade in der Fahrradfahrer-Blase, in der ich mich bewegte, war das „Auskotzen“ über Autofahrer auf Twitter normal (und ich selber beteiligte mich ebenfalls daran). Nur: Was für mich ganz kurz erleichternd wirkt bedeutet für andere, dass sie meinen Unmut abbekommen. Wer den ganzen Tag nur eine negative Timeline vor sich hat wird nicht glücklicher.
Meine Lösung war die Erstellung einer Mini-Timeline mit nur 13 Personen, deren Tweets mich entweder unterhielten oder politische oder gesellschaftliche Themen besprachen.
Das Fazit nach über zehn Jahren Twitter ist folglich nicht positiv:
- Aus dem freundlichen Netzwerk ist eine hasserfüllte Suppe geworden, welche von einem nicht durchgreifenden Konzern gewünscht ist und von den Nutzern durch ihren Diskussionsstil beschleunigt wird.
- Der Konzern tritt offen feindlich gegenüber Clients auf und somit gegen meine Nutzungsart (die die ursprüngliche Nutzungsart von Twitter ist).
Nach dem Niedergang von App.net habe ich mir immer wieder Alternativen angeschaut, wie z.B. Diaspora, die mir aber nicht zusagten. Im Jahr 2016 erschien Mastodon auf der Bildfläche, welches ich zunächst ignorierte. Jetzt, 2018, fällt mein Blick erneut drauf und es gefällt zunächst, denn es ist, wie Twitter früher einmal war und App.net die ganze Zeit war.
Wer einfach nur reinschnuppern möchte ohne sich näher mit Mastodon zu beschäftigen kann sich einen Account auf mastodon.social erstellen. Ich bin auch dort als truhe unterwegs. Es gibt auch ein kleines Tool, mit welchem man Twitter-Freunde auf Mastodon finden kann.
Die Besonderheit von Mastodon: Hier agiert kein Konzern mit seinen Interessen, sondern jeder kann einen Mastodon-Server betreiben, auf dem man sich anmelden kann. Diese so genannten Instanzen sprechen miteinander und man kann deshalb mit allen Nutzern auf allen Instanzen sprechen und ihnen folgen (ein bisschen so, als könnte ich von Twitter aus auch Leuten von Facebook oder Instagram folgen). Der Unterschied: Statt @truhe bin ich dort @truhe@chaos.social, weil ich mich auf chaos.social angemeldet habe. Viele melden sich auf mastodon.social an oder mastodonten.de (wäre ich dort, wäre ich folglich unter @truhe@mastodon.social erreichbar).
Jede Instanz hat ihre eigenen Hausregeln, z.B. was Hatespeech oder Spam angeht. Jede Instanz regelt zudem, mit welcher anderen Instanz sie sich austauschen möchte und kann Instanzen, die aufgrund ihrer Regeln z.B. Nazis beheimatet, komplett aussperren, genauso wie ich als Nutzer unerwünschte Instanzen komplett muten kann.
Bislang ist Mastodon der nette, familiäre Ort, der Twitter früher einmal war. Ob er so bleibt ist eine Kombination aus den Anstrengungen der Nutzer (also ihrer Art, zu kommunizieren) und der Arbeit der Administratoren, die Regeln ihrer Instanz durchzusetzen, wenn es erforderlich wird.
Falls ihr auch genervt seid von Twitter: Probiert es aus!