Eigentlich war am Freitag letzter Woche ein Konzert. Für mich fand es auch tatsächlich statt, meine Freunde bleiben ihm allerdings fern. Der Terror hat somit - vorerst - gewonnen, meinten sie.
Auf Terrorismus zu reagieren ist immer schwierig: Jeder Mensch in meiner unmittelbaren Nähe könnte mich töten wollen. Ich werde das nicht erkennen und auch nicht verhindern können. Das kann im Flugzeug geschehen, der Bahn oder auf Veranstaltungen. In den letzten Jahren haben die Anschläge in London, Madrid, Boston, Ankara, Sinai und etlichen anderen Städten und Ländern das bewiesen (schon fast vergessen, da noch im letzten Jahrtausend, sind Anschläge in Berlin, Lockerbie, Augsburg, München, Frankfurt…). In der vorletzten Woche kamen Paris, Bamako, Beirut und Usedom auf die Liste - letzteres, um auch den Rechtsterrorismus in Deutschland zu erwähnen. Das alles zusätzlich zu den Dauerkrisengebieten, z.B. Syrien, Irak, der Ukraine und Israel (Paradise Lost durften nach dem Konzert im Bunker übernachten, wegen Luftangriffen). Dass in den letzten Jahren in Berlin noch nichts passiert ist grenzt an ein Wunder: Ich rechne seit Jahren mit Anschlägen auf Berliner Bahnhöfe und die ständigen Großveranstaltungen im Tiergarten.
Daraus resultieren Angst und Unsicherheit, was allerdings unlogisch ist, denn es gibt etliche viel konkretere und wahrscheinlichere Dinge, an denen wir sterben könnten. Wir gehen z.B. das Risiko ein, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Täglich haben wir gefährliche Situationen, die wir nicht erkennen und nicht verhindern können und bei denen wir aus purem Glück nicht drauf gehen. 2014 wurden 78.000 Radfahrer verletzt, davon 14.000 schwer und 396 wurden getötet. Man betrachte das mal als Anschläge: 14.000 Schwerverletzte und 396 Tote! Dennoch fahren wir alle weiter Fahrrad. Steigen in die Achterbahn. Fahren mit dem Zug. Fliegen im Flugzeug. Wir ignorieren das Risiko.
Ich merke an mir, wie die Risikoabschätzung in Bezug auf Terrorismus anders funktioniert. Ich mag vielleicht nicht bei Sturm, starkem Regen, Schnee, in Dunkelheit oder dem Berufsverkehr Rad fahren, Achterbahnen meiden, keine Schnellzüge nehmen oder keine Flüge über Ozeane. Das sind Faktoren, die ich sehen und bewerten kann. Das ist greifbar. Terrorismus aber ist unsichtbar. Wenn ich nichts sehen kann, nichts messen kann, nichts beurteilen kann, dann kann ich mich auch für kein bestimmtes Verhalten entscheiden. Ich kann kein Risiko abwägen, denn es gibt keine Kriterien, anhand derer ich abwägen könnte. Alles könnte gleich gut oder schlecht sein. Ich reagiere deshalb trotzig und mache einfach weiter.
Irgendwann könnte irgendwo irgendetwas geschehen. Immer schon. Daran hat sich nichts geändert. Ich möchte nicht mein Leben lang wegen diffuser Möglichkeiten Angst haben müssen. Da könnte ich mich gleich freiwillig töten, denn viel Lebenswertes bliebe da nicht übrig, nur eine lange Liste von Dingen, die ich nicht gemacht habe. Ich möchte in Freiheit leben und machen können, auf was ich Lust habe, wenn ich darauf Lust habe.
Angst entwickle ich nicht wegen Terror, sondern wegen dem, was der Terror auslösen kann: Veränderung unserer Gesellschaft und unserer Freiheit. Dafür sind wir alle einzeln verantwortlich und unsere Politiker. Das ist das, was ich beeinflussen kann, nicht die Tat als solches. Und ich möchte nicht, dass unsere Gesellschaft noch feindlicher, geschlossener und weniger behaglich wird. Also mache ich das weiter, was ich auch davor gemacht habe: Leben.
Diesen Text schrieb ich vor dem Konzert. Dann stand ich inmitten einer großen Menschenmenge, vor mir ein wirklich fantastischer Auftritt von Obituary, und konnte mich nicht fallen lassen. Noch schlimmer: Neben mir stand ein arabisch aussehender Typ, der mich mit seinem Verhalten nachhaltig irritierte: Vollkommen regungs- und emotionslos, machte 1x ein Foto mit seinem Smartphone und sendete daraufhin etliche SMS mit einem alten Knochen und verschwand dann urplötzlich. Sicherlich, dieses dumpfe Unwohlsein wird verschwinden, dennoch schmerzt es mich, dass auch ich empfänglich dafür bin und vorverurteile. Und meine Freunde, die nicht gehen wollten, weil sie es nicht genießen könnten, hatten offenbar vollkommen recht.
Immerhin: Wieder etwas über mich gelernt.