Es liegt weiterhin Schnee. Der Plan ist also, Andermatt zu überspringen und auf der anderen Bergseite von Ilanz weiter zu fahren. Und dann kommt doch alles anders.
Kurz nach 9 sitze ich in der Bahn und fahre über Andermatt zur anderen Gipfelseite, um dann von Ilanz aus weiter mit dem Rad bis mindestens Chur zu kommen. Ein bisschen Wehmut habe ich, da ich Andermatt überspringe, aber gleichzeitig freue ich mich, endlich wieder unterwegs zu sein. Ich starre Berge an.
Ich plane schon den nächsten Urlaub: Unbedingt von Luzern nach Andermatt hochfahren. Oder von Zürich über Küssnacht.
Andermatt muss ich zum zweiten Mal umsteigen. Es ist sonnig und toll. Schnee? Hier nicht. Weiter geht es zum Oberalppass. Ja: Hier liegt Schnee. Aber… die Straßen sehen doch ok aus! Eine zweite Stimme meldet sich in meinem Kopf: "Was machst du da für einen Blödsinn?! Einen zweiten Urlaub planen? Du bist jetzt hier! Also fahr!"
Der nächste Halt ist ein Bedarfshalt. Bedarfshalt? Ich suche den Zug nach Knöpfen ab, die ich drücken muss. Es gibt keine. Der Zug hält dennoch. Ein Bahnhof ist das hier nicht, mehr ein Signalstopp. Ich öffne die Tür, hebe mein Fahrrad vom Waggon runter und muss dann in leichter Panik wieder rein, weil ich meine Jacke vergaß (wenn der Zug jetzt los fährt steht mein Rad da alleine rum!). Es klappt alles. Ich stehe in den Alpen am Berg.
Los geht's! Nach den 36 Grad Richtung Luzern und der Fahrt im warmen Zug ist das hier ein Kälteschock. Ich bin angeschwitzt und kühle aus. Sicher fühle ich mich bei der Abfahrt auch nicht. Also erst einmal anhalten, in einem Restaurant die üblichen Nudeln essen und alles durchwärmen, vor allem aber durchtrocknen lassen. Danach ist alles gut! Mit 45 KmH geht es abwärts.
Die Hauptstraße Richtung Ilanz ist eine autobahnähnliche Konstruktion: Mehrere Spuren, Leitplanken, Beschilderung über den Fahrspuren. Für Radfahrer ist das super und manchmal sind auch Schutzstreifen aufgemalt. Da das hier die Schweiz ist und nicht Deutschland überholen auch die dicken Sportwagen mit weitem Abstand und rasen nicht wie Kometen die Straße entlang.
Bei Disentis folge ich dummerweise der Beschilderung und lande in etwas, was die Website der Radroute als "ruppige und schmale Naturstraße" beschreibt. Oder wie ich es formulieren würde: Eine Bepflasterung, als hätte jemand schweinegroße Steine in Schlamm gesteckt und jetzt ist es getrocknet. Das ist im Grunde nicht zu fahren und kaum zu laufen. Ich stochere mich so durch und nehme die erste Möglichkeit, um wieder auf der Hauptstraße anzukommen. Also: Falls ihr das fahren wollt: Bleibt auf der Hauptstraße! Ab Rueun kann man gut auf den dann mit Finegravel ausgestatteten Weg wechseln - da wird der Verkehr auf der Hauptstraße nämlich auch dichter.
Gegen 16:00 bin ich in Ilanz und beschließe, dass Chur mein Ziel wird. Per booking.com ist das Hotel schnell gebucht und ich fahre auf perfekten, fast nicht befahrenen Straßen weiter.
Etwas übermütig lasse ich ein Essen aus, was sich natürlich rächt: Richtung Chur geht es noch einmal 230 Meter hoch. Von 2-10% ist alles an Steigung vertreten. Gegen 17:00 bin ich ausgebrannt. Kurz vor dem Örtchen Carrera brauche ich 4 Minuten für 500 Meter. Mit durchschnittlich 7,4 KmH krieche ich im Slalom nach oben. Ein sehr unwürdiger Moment. Und in Carrera ist: Nichts. Kein Essen. Kein Wasser. Kein gar nichts. Nur eine nette Aussicht:
Ich krame nach zwei Powerbars und stecke etwa 500 Kalorien und mitgebrachtes Wasser in mich hinein. Zehn Minuten Pause und es geht langsam wieder.
Was dann folgt war etwas überraschend für mich, weil ich das im Vorfeld nicht gelesen hatte: Ruinaulta. Quasi der Schweizer Grand Canyon. In aus dem Fels geschlagenen Straßen radle ich durch eine Landschaft, die so beeindruckend ist, dass ich ständig anhalten und voller Ehrfurcht glotzen muss.
Nach der tollen Aussicht geht es 360 Meter runter und endlich, bei Versam, habe ich Serpentinen auf der Strecke. Wie fantastisch!
In Chur komme ich gegen 19:15 an. Nach einer Altstadt-Tour (Essen!!) geht es ins Bett. Was für ein Tag!
Statistik: 82,59 Kilometer, 732 Höhenmeter.