@polarstern: Wie würde unser Leben wohl aussehen, ohne Blog schreiben, ohne ADN, ohne Twitter, ohne Social Networks? Wie schnell würde man sich daran gewöhnen?
Zuerst eine Zeitskala:
- Blogs: Start 1996
- ICQ: Start 1996
- MySpace: Start 2003
- Facebook: Start 2003/2004
- YouTube: Start 2005
- Twitter: Start 2006
- Whatsapp: Start 2009
- Instagram: Start 2010
- Snapchat: Start 2011
Was wir heute als Social Networks verstehen sind hauptsächlich Twitter und Facebook: Große, kommerzielle Anbieter, die uns am liebsten die ganze Zeit in der von ihnen angebotenen Welt leben lassen möchten. Blogs bewegen sich bis auf wenige Ausnahmen und der Nische und YouTube ist keine Kommunikationsplattform, sondern mit den mittlerweile professionellen Videoproduktionen eher wirktechnisch im TV-Bereich aufgehängt. Demzufolge impliziert der Verzicht auf Social Networks einen Rücksprung nach 2004. Da die Nutzung sich vermehrt in den mobilen Bereich bewegt ließe sich ebenfalls 2007 - der Start von Apples iPhone - als Rücksprungziel verwenden.
Wie würde ein Leben ohne Social Networks aussehen? Ohne Blogs? Die Frage ist schwierig zu beantworten, denn ich bin kein Social Network-Junkie. Ich hole mir aus Social Networks keine Bestätigung. Meine Freunde befinden sich nicht auf Twitter oder Facebook, sondern in Threema. Ich habe auch keinen Gruppenzwang, 2.000 "Freunde" auf Facebook anzuhäufen. Demzufolge wäre für mich wenig anders. Blogs wären dagegen schmerzhafter. Einige Blogs sind für mich eine Nachrichtenquelle. Sie berichten umfangreicher oder mit einer anderen Sichtweise als Nachrichtenseiten. Ohne diese Medien wäre es für mich folglich schwieriger, eine breite Sicht über Themen aufzubauen.
Ich habe allerdings bereits Anfang der 90er meine Freunde in Mailboxen und den dortigen Chats kennen gelernt. Habe jahrelang ICQ verwendet, E-Mail, Fidonet. Auch dabei handelt es sich um Social Networks. Wenn ich diese ebenfalls streichen würde, dann würde mein Leben anders aussehen. Ich würde meine besten Freunde nicht kennen, wäre im August kein Trauzeuge, hätte meine (Ex-)Frau nicht kennen gelernt und würde sicherlich auch nicht in der IT-Branche arbeiten, denn das Computerthema wurde für mich erst durch die Kommunikationsmöglichkeiten mit anderen Menschen wirklich relevant. Ich wäre ein gänzlich anderer Mensch.
Die Frage nach den Diensten finde ich bei meinem zeitlichen Horizont somit weniger interessant als die Frage nach der Zugänglichkeit zu diesen Diensten. Chats und Fidonet waren früher bewusste Momente, die Zeit kosteten und an bestimmte Räumlichkeiten gebunden waren. Durch Smartphones wird aus der Kommunikation die Füllung von Zeitlöchern an beliebigen Orten, ein Zwang, Aufmerksamkeit zu schenken und nicht mit der Umgebung zu interagieren. Auch dies ist nicht neu: Bücher und Zeitungen, sowie natürlich der Walkman, können so interpretiert werden. Der Unterschied ist, dass Smartphones Push-Geräte sind. Sie verlangen um Aufmerksamkeit, vibrieren, piepsen und blinken. Die Wirtschaft hat natürlich ebenfalls begriffen, dass wir es mögen, diesem Drang nach künstlicher Aufmerksamkeit nachzugeben (Instant Gratification), sodass Apps darauf optimiert werden, immer mehr unserer Zeit und Aufmerksamtkeit zu stehlen. So sehr ich mein iPhone auch mag: Ich würde gerne die Zeit zurück drehen und in einer Welt ohne Smartphones leben.