Mit ello wird gerade die neue Sau durch das Social Network-Dorf getrieben. Klappern wir einmal die Standards ab:
Was ist ello?
Der Ersteindruck: Ello ist das, was früher Mailboxen als "Wall" hatten. Quasi eine Liste von kleinen Nachrichten ohne Bezug zueinander, garniert mit der Möglichkeit, lange Posts zu erstellen. Letzteres ist ein Alleinstellungsmerkmal, denn die Posts können bei ello Markdown enthalten (somit Listen und Formatierungen) und sind ein Container, der verschiedene Inhaltsarten enthalten kann (Text, dann ein Bild, dann wieder Text usw.). Innerhalb eines Containers lassen die Bestandteile eines Posts auch sortieren und nach dem Absenden beliebig oft überarbeiten.
Die Möglichkeiten in Posts gefallen mir sehr, der Rest schwächelt noch: So fehlen noch grundsätzliche Funktionen wie eine Antwortmöglichkeit und Threads (danach wäre ello nämlich ein großes Diskussionsforum), die Oberfläche ist krude und nicht einmal Umlaute funktionieren in der als UTF-8 deklarierten Website.
ello ist noch beta und invite-only, da kann man über etliche Probleme und fehlende Funktionen hinweg sehen. Aber wo möchte ello eigentlich hin? Was soll ello von anderen Social Networks unterscheiden und weshalb sollte man ello verwenden? Und wofür?
Ello is a simple, beautiful, and ad-free social network
"Social Network" ist mir zu allgemein, also habe ich bei ello nachgefragt, wo sie mit ihrem Produkt hin möchten und darauf keine Antwort erhalten. Auch über das "simple" und "beautiful" ließe sich angesichts der Mystery Meat Navigation streiten.
Zum Vergleich App.net, die eine sehr klare Vision verfolgten:
App.net is a subscription-based, advertising-free social network and API. It’s a platform that developers can rely on and that members can use to interact with each other.
App.net connects members’ feeds across clients built by third-party developers. Developers are free to build on our API – we’ll even send you a monthly payment, if your app is well-received – which means that members have a variety of apps to choose from to access the network.
Da sich ello nicht selber erklärt bin ich die Features durchgegangen, die ich bei App.net verwende und habe ello gefragt:
- Antwortmöglichkeit auf Posts? - Wird kommen.
- Threads? - Werden kommen.
- Hashtags? - Werden kommen.
- Suche? - Wird kommen.
- Zugang auf die API für andere Entwickler? - Haben sie noch nicht entschieden.
- RSS-Feeds für ello-Posts? - Vielleicht irgendwann.
- Importmöglichkeiten für RSS-Feeds? - Vielleicht irgendwann. (In Verbindung mit formatierten Posts und Threads halte ich den Import von Content aus bestimmten Quellen - lastfm für geplante Konzerte, IMDB für bewertete Filme für durchaus sinnvoll, um Diskussionen zu starten.)
Was ergibt das insgesamt? Eine geschlossene Umgebung mit vermutlich wenig oder keinen Spam-Problemen, langen, formatierten Posts, Threads. Ein Web-Forum mit Timeline-Ansicht.
App.Net war dagegen ein Framework für Social Networks. Ich konnte dank simpler Schnittstellen wie RSS alles mit allem verbinden und Entwickler konnten beliebige Apps bauen. Mit den obigen Entscheidungen wäre ello ein System, welches geschlossener als Twitter ist, zentral aufgebaut und aus dem man seine Daten nicht entnehmen kann. Abgesehen von den netten Formatierungsmöglichkeiten eine Kombination schlechter Dinge. Das ello-Manifest passt somit eher zu App.net als zu ello:
We believe a social network can be a tool for empowerment. Not a tool to deceive, coerce, and manipulate — but a place to connect, create, and celebrate life.
Wie finanziert sich ello?
Das Finanzierungsmodell von ello basiert auf Prinzip Hoffnung:
You never have to pay anything, and you can keep using Ello forever, for free. By choosing to buy a feature now and then for a very small amount of money you support our work and help us make Ello better and better.
Bestimmte Features wird es gegen Geld geben. Wir wissen alle, wie das deutlich planbarere Geschäftsmodell bei App.net geendet ist. Mir ist bewusst, dass ein kleines Social Network mit wenigen Funktionen in einer Nische existieren kann, wenn es als Hobby in der Freizeit weiter entwickelt wird und nicht genug User hat, um viel Geld zu kosten. Sehr zukunftssicher wirkt es auf mich damit aber nicht, zumal hier keine Open Source-Community daran schraubt.
Fazit?
Ein geschlossenes System mit fadenscheinigem Finanzierungsmodell und keiner Idee, wo das Produkt platziert werden soll? #sigh
Aber ich bin ja in solchen Dinge immer ein wenig konservativ. Häufig umarme ich neue Dienste nach anfänglicher Skepsis und nutze sie intensiv. Die Zeit wird zeigen, ob auch ello diesen Weg gehen wird.