Der Film "Die Tribute von Panem" konnte mich vor allem in der zweiten Hälfte nicht überzeugen. Wie wird die Geschichte wohl im Buch erzählt? Ist mehr Politik enthalten? Ist es düsterer und detaillierter? Sind die Handlungsbrüche des Films auch im Buch vorhanden? Nach Anlesen des sprachlich eher plumpem deutschen Buches bin ich schnell beim englischen Buch gelandet. Die drei Teile in einem Werk - um die 800 Seiten - kosten bei Amazon glücklicherweise unter 20 Euro.
Die Trilogie ist in einem postapokalyptischen Nordamerika angesiedelt: Der Staat ist zerfallen und durch den diktatorischen Staat Panem ersetzt, der sich in 13 Distrikte und das regierende, in Luxus und Überfluss lebende, Capitol unterteilt. Jeder der 13 Distrikte ist auf einen Wirtschaftszweig optimiert, welcher das Capitol ernährt. Das Bildungssystem wird inhaltlich vorgegeben und formt die Geschichte so um, wie es der Regierung genehm ist. Die Bewohner leben in ärmlichen, quasi vorindustriellen Verhältnissen und werden gezwungen in der für den Distrikt typischen Wirtschaft zu arbeiten, z.B. in der Landwirtschaft oder dem Bergbau. Preise für Lebensmittel werden von der Regierung vorgegeben, sodass die Bewohner trotz Lohn stets nah am Verhungern sind. Medikamente existieren nicht und müssen der Natur entnommen werden. Reisen zwischen den Distrikten sind nicht möglich - die Distrikte sind durch Zäune voneinander abgetrennt, die teils Strom führend und durch Wachtürme kontrolliert sind. Eventuell vorhandene Naturräume zwischen Distrikten dürfen ebenfalls nicht betreten werden; auch Handel zwischen den Distrikten findet nicht statt. Zuwiderhandlungen werden drakonisch durch öffentliche Auspeitschungen, Erschießungen oder das Erhängen am Galgen bestraft. Ein verstecktes Überwachungssystem ist ebenfalls vorhanden.
In der Vergangenheit führte dieses gesellschaftliche System zu einem Aufstand, der niedergeschlagen wurde (Distrikt 13 gilt seitdem als zerstört). Um die Stärke der Regierung gegenüber den Distrikten stets in Erinnerung zu behalten, werden seitdem jährlich sogenannte Hungerspiele durchgeführt. In jedem Distrikt werden zwei Personen ("Tribute") ausgelost. Die Auslosung erhöht den psychologischen Druck auf die Bewohner, da sie sich Nahrungsmittel gegen ein höheres Auslosungsrisiko erkaufen können.
Nach einer kurzen Trainingseinheit im Capitol müssen alle Tribute in einer großen, künstlich geschaffenen Arena, gegeneinander antreten. Der künstliche Ursprung der Arena ermöglicht es, die Umgebung stets anzupassen: Wetterbedingungen und Wasserstände können kontrolliert werden, wilde Tiere in die Umgebung eingefügt und selbst Feuersbrünste ausgelöst werden. Der letzte Überlebende gilt als Gewinner und darf anschließend in seinem Distrikt in einem vergleichsweise luxuriösen Haus leben und erhält bis an sein Lebensende Reichtum und Nahrung, muss aber bei kommenden Spielen als Berater für seinen Distrikt in Erscheinung treten.
Für die Bewohner des Capitols sind die Spiele das unterhaltende Großereignis des Jahres. Die Tribute werden gefeiert, in Fernsehshows präsentiert und lösen neue Modewellen aus. In den Distrikten sieht es anders aus: Die Spiele werden öffentlich übertragen und müssen als Zeichen der Demütigung betrachtet werden. So erklärt sich, dass bereits kleine Gesten des diesjährigen weiblichen Tributs, Katniss von Distrikt 12, als Widerstand gegen die Regierung aufgefasst werden, da sie zeigen, dass die Regierung nicht allmächtig ist. Die schwelende Unzufriedenheit wird in Brand gesetzt und versetzt im Laufe der Bücher alle Distrikte in den Zustand einer offenen Rebellion. Angeführt vom Distrikt 13 und mit der symbolischen Strahlkraft von Katniss wird der letzte Angriff auf das Capitol durchgeführt, um den Diktator zu stürzen.
Die drei Bücher leben durch die innere Zerrissenheit von Katniss, die stets ihre Handlung und die ihrer Mitmenschen in Zweifel zieht und zwischen ihrem eigenen und dem vorgegebenen Weg wählen muss. Sie entwickelt sich dabei von der Jägerin aus dem Bergbau-Distrikt zur Anführerin der Rebellion, unterstützt von mächtigen Freunden. Mit Messern geführte Kämpfe der Hungerspiele wandeln sich im Laufe des Buches zu unsichtbaren Flotten von Hovercrafts, die die Distrikte bombardieren. Die Entwicklung der Handlung geht flüssig und glaubhaft voran, die Entwicklung von Katniss dagegen ungestüm und plötzlich. Auch dies ist glaubhaft, denn durch die Ich-Perspektive und Beschreibung der Gedanken hat man die Hintergründe, aus denen erneut ein Knoten platzt, stets miterlebt. Überwiegt in den ersten beiden Büchern noch die teils gespielte, teils ehrliche Liebesgeschichte zwischen Katniss und Peeta, so wird der dritte Teil deutlich düsterer: Niederlagen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit breiten sich aus. Aus den in sich geschlossenen Spielen des ersten Buches ist ein echter Krieg zwischen zwei mächtigen Gegnern mit eigener Agenda geworden. Lieb gewonnene Charaktere sterben oder werden durch das erlittene Leid psychologisch so mitgenommen, dass am Ende des Buches reine Trostlosigkeit übrig bleibt. Ein klassisches Happy End gibt es hier nicht. Wer während des Lesens noch die passende Begleitmusik hört, kann sich auf einige mitreißende Stunden einstellen, an deren Ende zerbrochene Charaktere und ein zerbrochener Leser stehen.
Die Trilogie ist (im Original) flüssig geschrieben, leicht verständlich und mitreißend. Die Charaktere werden gut ausgearbeitet. Überflüssige Nebenhandlungen gibt es nicht und auch keine "losen Enden". Es ist aber dennoch ein Jugendbuch. Dies fällt weniger durch fehlende Brutalität auf, sondern eher durch fehlende Tiefe in der Beschreibung der gesellschaftlichen und politischen Strukturen vor allem im ersten Buch. Nebenschauplätze gibt es nicht bzw. werden nur dann erzählt, wenn Katniss von ihnen erfährt - ein Nachteil der Ich-Perspektive des Buches. Es bleibt der Eindruck einer grandiosen Geschichte, die man hätte breiter erzählen können.
Wer den Film gesehen und wegen seiner hanebüchenen Sprünge und wenig glaubhaften emotionalen und kaum vorhandenen charakterlichen Entwicklung nicht mochte, der sollte die Bücher lesen. Der Film wirkt wie ein Skelett, welches nicht mit dem Leben des Buches gefüllt wurde.